«Mit Schoggi kriegt man sie alle»
Stephanie Mittler (32) ist seit Eröffnung des Gourmetrestaurants Mammertsberg in Freidorf TG im Team von Küchenchef und Mitinhaber Silvio Germann (36) dabei. Als Chef-Patissière, später zusätzlich als Souschefin. Sowohl GaultMillau als auch Falstaff haben sie zur Patissière des Jahres 2026 gekürt.
Der Artikel ist im Gastro Journal am 23. Oktober 2025 erschienen. Autorin Corinne Nusskern
An hellen Tagen schweift der Blick von der Küche durch Bambusstäbe über den Bodensee. Doch Stephanie Mittlers Vorbereitungsküche ist unprätentiös im Keller untergebracht, dort, wo sie fokussieren kann und wo ihre süssen, meist leichten Dessertkunstwerke entstehen. Obwohl ihr Posten als Chef-Patissière bereits ein ganzer Job für sich ist, deckt die 32-jährige Süddeutsche im Mammertsberg eine Doppelrolle ab. «Als unser Souschef uns vor anderthalb Jahren verliess, wollte Silvio, dass ich das mache. Er versteht es ganz gut, mich zu challengen und immer wieder etwas Neues zu finden, damit es mir nicht langweilig wird.» Etwas, das sie gar nicht mag. Sie lacht. «Und hier ist mir so was von nicht langweilig!» Sie teilt sich den Posten mit dem Saucier Lukas Messmer. Er steht mehr in der Küche, sie kümmert sich mehr um Organisatorisches wie Bestellungen oder Dienstpläne, das liegt ihr.
Am frühen Abend kommt sie vom Keller hoch und hilft, wo es sie braucht. Entweder im ersten Stock beim Apéroservice, mal springt sie am Pass ein, und wenn sich die Gläser stapeln, poliert sie auch diese. «Ist der Hauptgang geschickt, stelle ich die Teller für das Dessert kalt und hole die Glace aus dem Gefrierer», so Mittler.
Sie ist extrem organisiert, sie muss quasi blind arbeiten können. Bei ihr liegt immer alles am genau gleichen Ort. «Ich muss die Dinge logisch und gescheit angehen, damit ich sie nur einmal machen muss», fügt sie an. Und kommt es trotzdem mal zu einer Stresssituation oder läuft etwas schief, kann sie sofort umschalten und auf die Lösung fokussieren, damit der Gast nichts davon mitbekommt. Patissières tragen eine grosse Verantwortung.
«Das Dessert kann einen misslungenen Abend retten oder einen perfekten Abend ruinieren. Es ist der letzte Gang, bevor man die Gäste wieder hinaus ins Leben entlässt», so Mittler.
Leichte Kreationen mit viel Säure
Unverzichtbar ist für sie Felchlin-Couverture. «Schoggi ist immer irgendwie mit dabei, damit kriegt man sie alle!», sagt sie lachend. Und was würde sie nie in einem Dessert verarbeiten? «Lakritz, das mag ich gar nicht.» So wenig wie zu süsse Desserts. «Mir ist es ganz wichtig, dass die Gäste vom Dessert nicht erschlagen werden, denn nach einem Menü im Mammertsberg ist man eigentlich satt», so die Patisseriechefin. Deswegen setzt sie auf leichte Kreationen mit viel Säure. Es ist stets etwas Crunchiges, etwas Cremiges und ein Glace dabei, und es gibt fast immer einen Sud zum Angiessen – aktuell einen Brombeer-Cascara-Sud. Dieser macht das Dessert leichter und – wie die Sauce bei einem salzigen Gericht – rund und komplett.
Synergien gibt es auch zwischen Mittlers süsser und salziger Position. Von der Küche hat sie sich das Spontane angeeignet. Sie arbeitet inzwischen mehr aus dem Handgelenk und wiegt nicht mehr alles strikt aufs Milligramm ab, wie in der Patisserie üblich. Umgekehrt verbringen im Mammertsberg alle Commis jeweils sechs Monate bei ihr in der Patisserie. Das schafft ein gegenseitiges Verständnis, von dem alle profitieren.
«Ich habe das Gefühl, dass die Commis, die mal bei mir waren, sich später in der Küche leichter tun, denn in der Patisserie ist so viel Organisatorisches gefragt», erklärt sie. Andererseits lässt sie sich alle sechs Monate auf einen neuen Charakter ein. «Das hilft mir menschlich ganz viel, und es macht Spass, den Jungen etwas beizubringen.»
Am 4. November wird sie an der Fachkonferenz «Brennpunkt Nahrung» in Luzern an einer Podiumsdiskussion zum Thema «Fachkräfte gesucht: Innovative Ansätze für die Gastronomie» teilnehmen.
«Die eine Lösung für alle gibt es wohl kaum», sagt sie. «Man muss unsere Jobs wieder sehr viel attraktiver machen, wie etwa mit dem Uccelin-Stiftungsprogramm von Sarah und Andreas Caminada, das 20 Stipendien pro Jahr vergibt und junge Talente fördert.» Sie hat ein Uccelin-Stipendium absolviert und wird an der Fachkonferenz davon erzählen. «Es ist eine echt coole Sache und etwas, das der Branche so viel zurückgibt», sagt Mittler. «In einem Betrieb war mein Hauptjob, während der Wildzeit geschossene Wildvögel auszunehmen – es war echt wild», sagt sie lachend. Uccelin habe sie an so manche Grenze gebracht.
Sie sieht für die nächsten Jahre eher Schwierigkeiten, kompetentes Servicepersonal zu finden. «Wir sind zurzeit gut aufgestellt, aber in der breiten Masse ist es ein Problem.» Wenn sie da jeweils Geschichten höre, was Servicekräfte alles von Gästen hinnehmen müssten. «Da braucht es mehr Respekt», sagt sie. «Warum müssen es einem manche Gäste so schwer machen? Dabei ist es ein so cooler Beruf, und man kann den Gästen einen absolut tollen Abend bereiten!»
Einmal drin, bleiben die meisten
Im Mammertsberg (2 Michelin-Sterne, 18 GaultMillau-Punkte, 20 Mitarbeitende) sind sie auch dank Silvio Germann, der für den Betrieb ein tolles Aushängeschild ist, personell gut aufgestellt. Es flattern zahlreiche Initiativbewerbungen ins Haus, und wer es schafft, bleibt mindestens ein, zwei Jahre oder länger.
«Alle haben Lust, hier zu sein, und sind motiviert – dazu müssen die Arbeitsbedingungen menschlich sein», so Mittler. «Wenn die Grossmutter 90 wird, machen wir es möglich, dass die Person frei bekommt.»
Stephanie Mittler selbst arbeitet seit 2017 fast durchwegs in Betrieben von Andreas Caminada. Einmal drin, bleiben die meisten und machen oft Karriere. Was ist das Geheimnis der Caminada-Welt? Sie lacht und erklärt es am Beispiel eines Kochs, der letztes Jahr im Mammertsberg neu angefangen hatte. Er war etwa eine Woche da, als die beiden Souschefs das Gerüst holten und begannen, die Fenster zu putzen. Der Ärmste habe die Welt nicht mehr verstanden. Da, wo er vorher arbeitete, war er einfach nur Koch.
«Wir sind hier alle ein bisschen alles, wir servieren auch mal oder zupfen Kräuter im Garten», sagt sie. In der Caminada-Welt lerne man sehr schnell, den Blick zu heben. Oh, da geht eine Lampe nicht, oder da ist ein Kissen nicht aufgeschüttelt? «Das ist nicht mein Job, aber wenn ich es sehe, mache ich es selbst oder sag es jemandem», führt Mittler aus. «Das wird vorgelebt, und mittlerweile leben wir es vor. Einander zu unterstützen und alles zu sehen, das verbindet – und das hilft allen und jedem Einzelnen.»